Early warning

In Christa Wolfs Erzählung Kassandra (1983) ist der bemerkenswerte Satz zu lesen: „Wann Krieg beginnt, das kann man wissen, aber wann beginnt der Vorkrieg? Falls es da Regeln gäbe, müsste man sie weitersagen.“ (WOLF 2011, S. 71). Die heutige Entwicklungs-, Konflikt- und Friedensforschung rückt bei der Betrachtung von Karl Amadeus Hartmanns Person und Werk den Begriff „early warning“ in den Fokus: Man versteht darunter die Fähigkeit, noch nicht offenkundige gesellschaftliche (Fehl-)Entwicklungen wahrzunehmen, ihre eventuell verhängnisvolle Dynamik aufzuspüren und diese in der Kunst allgemeingültig zu thematisieren. Diese Fähigkeit legte Hartmann beispielhaft an den Tag.

Seit Ende der zwanziger Jahre machte er in Wort und Ton unmissverständlich deutlich, dass Nationalsozialismus Unfreiheit bedeute und zwangsläufig in das größte Übel, den Krieg, münden würde. Der Literatur- und Theaterkritiker Karl Heinz Ruppel formulierte: „Er war der geborene Non-Konformist, wenn er seine freiheitliche und humanitäre Gesinnung von irgendwoher bedroht sah. […] Er litt unsäglich an der Zeit, an der Verwahrlosung und Achtung aller Humanität, an ihrer Verlogenheit, ihrer Brutalität. Er sah, wohin der Weg ging.“ (RUPPEL 1977, Booklet-Rückseite). Hartmann dokumentiert dies in besonderer Weise noch in seinen letzten Lebensjahren, etwa durch seine Mitwirkung an der Gemeinschaftskomposition „Jüdische Chronik“ (1960/61), die Komponisten aus Ost- und Westdeutschland zusammenführte, oder auch durch sein letztes Werk, der „Gesangsszene“ für Bariton und Orchester (1963): In erschreckend aktuell anmutenden Bildern vermittelt Hartmann eine apokalyptische Vision über das Ende einer sich rauschhaft in eine Todesspirale hinein bewegende Zivilisation.

 

Weitere Informationen zu dieser Thematik finden Sie im Aufsatz „Klänge des Friedens?!“ von Dr. Dr. Dietrich Senghaas, basierend auf einem Vortrag anlässlich des Hartmann-Jahres 2013, abrufbar unter https://www.hartmann-gesellschaft.de/archivalien/musikwissenschaftliche-texte/