Klage – Anklage – Gegenaktion

Auf den Spuren von Karl Amadeus Hartmanns musikalischem Widerstand

Hartmann gilt als der deutsche antifaschistische Komponist schlechthin, der sich nicht nur aktiv in Widerstandskreisen betätigte, sondern insbesondere in seiner Musik laut und allgemein verständlich Stellung bezog. In seinen Kompositionen versuchte Hartmann, die Botschaft von grenzenloser, von politischen Systemen unabhängiger Humanität nach außen zu tragen. Er verstand dieses Bekenntnis bewusst als „Gegenaktion“. Dabei verwendete er zum einen Musik- und Textfragmente verfemter und verbotener Künstler; so zitierte er z. B. Komponisten, deren Musik im Nazi-Deutschland als „entartete Kunst“ diskreditiert wurde. Auch (verbotene) Lieder der sozialistischen Arbeiterbewegung, etwa „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“, „Die Internationale“ oder „Unsterbliche Opfer“, werden ganz bewusst in den musikalischen Kontext integriert und deren historischer Hintergrund und Intention assimiliert.

Zum anderen greift Hartmann auf jüdische Melodien zurück, die sich als Klage- und Anklagechiffren erheben. Karl Amadeus Hartmann stand in den frühen 1930er-Jahren am Anfang einer großen Karriere. Gleichwohl verweigerte er sich rigoros jeglicher Vereinnahmung durch das totalitäre Regime und zog sich in Deutschland aus der Öffentlichkeit zurück, während er gleichzeitig im Ausland umso beredter zu sprechen versuchte und tatsächlich als Symbol für ein „anderes Deutschland“ – das Kultur und Humanismus gegen Barbarei setzte – wahrgenommen wurde. Wie Dokumente belegen, hielt sich Hartmann zwischen 1933 und 1943 wochen-, ja  teilweise monatelang gar nicht in Deutschland auf, sondern versuchte unermüdlich seinen ins Ausland geschmuggelten Partituren und deren Intention Gehör zu verschaffen.

Eine zentrale Bedeutung kommt dabei dem jüdischen Volkslied Eliyahu hanavi zu,  das er systematisch in sämtlichen Werken dieser Zeit verwendete und es mit unmissverständlichen Aussagen versah. Das Lied entstammt ursprünglich dem Volksgesang osteuropäischer Juden. Es wird traditionell zum Ausklang am Sabbat und während des Pessach-Festes gesungen. Hartmann durfte also von einem hohen Wiedererkennungswert ausgehen. Durch die jeweilige Gestalt, in der Hartmann das Lied in seinen Werken zitiert, und durch das intertextuelle Geflecht mit dem musikalischen Kontext werden Aussagen über die jüdische Kultur und ihre Situation im nationalsozialistischen Deutschland artikuliert. So muss das Lied einerseits als klingendes Symbol für die Vernichtung des jüdischen Volkes und andererseits als klangliche Chiffre der Klage und Anklage gegen Unterdrückung, Verfolgung und Tötung aller Regimegegner gesehen werden. Für Hartmann kam das Zitieren dieses Liedes einer Solidaritätsbekundung mit den in Europa verfolgten Juden gleich und kann als Ausdruck der Hoffnung auf eine „Erlösung“ vor der Verfolgung durch die Nazis verstanden werden.

„Die Niederschrift seiner Opera hatte für Hartmann etwas von subversiven Handlungen, wie das Verfassen von Flugblättern oder das Abhalten unerlaubter Versammlungen. Es ist ja so, dass diese Werke einen deutlich vernehmbaren Ton enthalten, der sich in allem […] von dem unterscheidet, was damals öffentlich aufgeführt wurde. Dieser Ton ist antifaschistisch und humanitär, auch humanistisch und weltoffen. […] Die Musik Hartmanns wird von der Solidarität mit den unter dem nazifaschistischen Terror leidenden Völkern bestimmt und von der Auffassung, dass Musik moralische Aufgaben hat und dass neue Musik erfunden wird durch gesellschaftliche Forderungen an sie, fortschrittliche Forderungen und nicht restaurativ-affirmative.“

Henze, Hans Werner. 1980. Laudatio. in Renata Wagner (Hg, 1980): Karl Amadeus Hartmann und die Musica Viva. Essays. Bisher unveröffentlichte Briefe an Hartmann.

 

 

Weitere Informationen zu dieser Thematik finden Sie in der Publikation „Klage – Anklage – Gegenaktion. Auf den Spuren von Karl Amadeus Hartmanns musikalischem Widerstand“ von Andreas Hérm Baumgartner, basierend auf einem Vortrag gehalten anlässlich der „Tage der Bayerischen Schulmusik“, 2018, abrufbar unter https://www.hartmann-gesellschaft.de/archivalien/musikwissenschaftliche-texte/