Alassio, Donnerstag (Brief): KAH in der Schweiz

Alassio, den 20. 5. 37.
Mein lieber Karl!
Eigentlich sollte ich Dir ernstlich bös sein. Dieses ewige Mißtrauen! Ich dürfte Dir doch oft genug bewiesen haben, daß ich nie, nicht einmal in Gedanken Dir untreu werden könnte. Warum sollte ich auch? Ich liebe Dich doch so sehr und Du bist und bleibst mir doch mein Alles! Karl, dieses Mißtrauen tut einer Frau doch weh, wenn es so unbegründet ist. Und nun denke einmal nach wie das alles gekommen ist. Nur weil Du immer so unklare Briefe schreibst. Du schriebst mir am Donnerstag, daß Du vielleicht zu Neracher fährst.* Erst am Montag erfahre ich bestimmt, daß Du dort bist. Bis dahin konnte ich doch nicht dorthin schreiben, wenn ich es nicht bestimmt wußte. Dann schreibst Du am Montag, daß Du Dienstag, spätestens Mittwoch wieder abfährst. Also wie soll ich da noch schreiben können! Soll ich vielleicht hellsehen und riechen, daß du doch erst später dort wegfährst. Karl, hättest Du etwas gedacht, so wärst Du selbst darauf gekommen, daß ich gar nicht dorthin schreiben konnte. Gestern schrieb ich nun natürlich eine Karte dorthin, weil ich nun vermutete, daß Du vielleicht bis Samstag bleiben würdest. Meinst Du mir war das angenehm nie zu wissen, wo ich Dich bestimmt erreichen kann? Also bitte nächstes mal etwas mehr Deutlichkeit, da u. da bin ich, bis da und dahin.
Heute habe ich eine schöne Autotour hinter mir, das werde ich Dir alles genauer erzählen. Keine Angst, es war kein einziger Herr dabei! Es war herrlich, der Garten von Mortola, der nur 2 mal in der Woche geöffnet nicht [ist]. Prachtvoll! Dann der Blumenmarkt von Ventimiglia. Karl, so viel Blumen haben wir beide in unserem ganzen Leben noch nicht gesehen, wie man da auf einmal sehen konnte. In San Remo war ich im Casino, habe 60 Lire gewonnen. Bitte erzähle das vorerst nicht daheim, ich weiß noch nicht, ob ich es erzählen soll. Sonst bekommt man da drin einen Ekel vor dem Gesellschaftspublikum. Mich hat es abgestoßen. Diese Geldgier. Die meisten zittern u. haben ganz verzerrte Gesichter. Ich würde auch nicht mehr spielen. Nur einmal hat es mich doch gereizt. Nachdem ich aber heute alle Küstenstädte hier an der Riviera sah, habe ich festgestellt, daß es hier schon am schönsten zur Erholung u. zum ausruhen ist. Besonders ist nirgends so ein schöner Sandstrand. Mit der Heimfahrt mache ich es voraussichtlich folgendermaßen: Ich fahre am Dienstag 651 h hier ab, komme 2 h nach Verona u. fahre am anderen Tag 9 h von dort ab. Ich weiß noch nicht, wann dieser Zug in München ankommt. Voraussichtlich mache ich es so. Ich schreibe Dir jetzt nur mehr eine Karte, die meine genaue Ankunft mitteilt. – Am 24. 5. dirigiert Ansermet am Prager Sender, Schönberg, Honegger, Milhaud u. Debussy.
* dann kommen verschiedene Briefe u. Karten, wo Du kein Wort hierüber erwähnst.
Heute bin ich sehr müde. Ich wünsche Dir eine schöne, gute Nacht. Ich freue mich riesig auf unser Wiedersehen am Mittwoch u. bleibe bis dahin
Deine immer treue Elisabeth.