Hampstead, Montag (Brief): KAH in München

Hampstead, den 29. Dezember 1930.
Lieber Herr Hartmann!
Diesmal haben Sie mir aber eine rasende Überraschung und Freude bereitet. Ich bin aber beinahe in Verlegenheit, daß ich für Sie gar nichts tat an Weihnachten, doch werde ich es bei meiner Rückkehr einholen. Jedenfalls nehmen Sie meinen allerherzlichsten Dank entgegen und seien [Sie] versichert, daß gerade dieses Buch mich unendlich freut. Hoffentlich verlebten Sie im Kreise Ihrer lieben Frau Mutter und Ihrer Brüder ein schönes Weihnachtsfest. Sie hatten ja die Freude vor sich, nun bald Ihre Oper aufgeführt zu wissen, was doch etwas wunderschönes ist. Mit großer Freude erfuhr ich, daß Sie es durchgesetzt haben. Von mir kann ich diesmal nur sagen, daß ich ein echt englisches Weihnachten verlebte und kennen lernte. Es war lange nicht so traurig, als ich fürchtete. Die Weihnachtsvorbereitungen in London gefielen mir ja gar nicht, es ist hier wie an Fasching. Alles war lustig und so ziemlich rein äußerlich, doch hier im Convent wurde das Fest sehr feierlich gefeiert. Am hl. Abend ist in England gar nichts los, das ist ein Tag wie jeder andere, erst am Weihnachtstag in der Früh wurden wir vor den brennenden Baum und die Geschenke geführt. Nebenbei gesagt, hatte ich einen ganzen Berg Pakete vor mir. Sonst ist es jetzt hier wirklich nett. Es sind Ferien bis zum 18. Januar. Wir sind hier 5 Mädels und es wird uns wirklich alles so schön als möglich gemacht. Allerdings, so wie daheim ist es ja nie, und manchmal bekomme ich noch immer furchtbar Sehnsucht nach Hause. Wir spielen z. Z. viel Tisch Tennis und Karten und dann hat man viel Gelegenheit zum lesen. Neulich war ich hier in London das erste Mal in einem Film. Es war ein Tonfilm und gut gespielt, wenn mir auch das Stück selbst nicht übermäßig gut gefiel. In der Winterzeit herrschen in England die starken Nebel, wo es selbst bei hellem Tag stockfinster ist und man in der Stadt nur die Lichtreklamen sehen kann, die hier in sehr großem Ausmaße sind. Ich bin aber froh, daß München noch davon verschont blieb. Das erste mal ist es interessant so einen Nebel zu sehen, doch später sehr unangenehm, weil sie d. Luft sogar im Zimmer vergiften. Der Schnee geht mir hier sehr ab und besonders das Ski laufen, es ist seit 13 Jahren der 1. Winter, daß ich diesen Sport nicht ausübe. Jetzt werden Sie aber schon ungeduldig über mein Geschreibsel werden. Für das neue Jahr wünsche ich Ihnen von Herzen alles Gute, besonders, daß Sie in allen Ihren Werken mit Glück durchdringen. Sagen sie bitte Ihrer Frau Mutter und Ihren Brüdern auch meine besten Glückwünsche und Grüße. Mit herzlichen Grüßen bin ich
Ihre Elisabeth Reußmann.