Lüttich/Liège, Freitag (Briefpapier: „Hotel de l’Univers“, 4 Bögen): E.H. in München

Meine liebe liebe Elisabeth!
Nachdem ich am Mittwoch ½ 6 von Dir wegfuhr war es mir sehr schwer ums Herz für Dich. Elisabeth, was soll mit Deinen Nerven? –
Ich bin gestern nachts um ½12 angekommen. Natürlich mit 4 Stund[en] verspätung. Die Fahrpläne!? Ich fuhr im ganzen 26 Stunden. Eine elende fahrerei! Nun ist in Lüttich alles voll. Ich fand doch ein Zimmer – nein kein Zimmer – sondern in einem Bad steht ein Bett. Eigentlich bin ich sehr froh. Ich kann baden so oft ich will. Alle abend – jeden morgen. Das ist ein großer Vorteil. Wenn Du kommst so bekomme ich ein Doppelzimmer.
Was ist mit Adolf, ist er noch so grandig [sic]. Sollte er mitkommen so muß er das Zimmer – bzw. das Bad nehmen. –
Schreibe mir gleich (Eilbrief – oder Telegramm) wann du kommst, wegen zimmerbestellen [sic]. Es ist schrecklich voll. –
Bringe bitte: Messer mit Korkzieher, Nadel u. Faden, Bullrichtabletten, Löffel für Greppfruit [sic]. –
Nun zur Hauptsache: Das gesamte Material ist da. Trotzdem das Material da ist, war erst eine geteilte Probe. Zuerst Bläser – dann Streicher. Ich darf nicht zuhören. Ich darf nichts unternehmen – Nichts – damit mich das Orchester nicht sieht, und dass ich keinen kennen lerne. Aber:
In der Frühe ging ich zu dem Notar, großes Haus – sehr Feudal aber nicht Einer ein Wort: deutsch, nicht mal der Notar. Die Verhandlung war kurz aber wir haben uns gut verstanden. Er schickte mich zum Commissariat General de l’Exposition. Also auf – ich fuhr mit Linie 1 hin. Auch da nicht einer der Deutsch sprach – da plötzlich sass eine schwarze Dame an der Schreibmaschine, die sprach gut Deutsch. „L’Œuvre“ wird am (wahrscheinlich) Dienstag gespielt. Es sind im ganzen 7 Werke. 3 am Montag – 4 am Dienstag. Und sehr wahrscheinlich ist meines das letzte. Und am Mittwoch werden die 3 prämierten Werke nochmals gespielt. Wie gesagt Proben oder Generalproben nichts darf ich besuchen. Oh mein „L’Œuvre“. Ich ging wieder, alsdann ging ich in einen Palast, wo Schlittschuhlaufen getrieben wurde. Ein riesiger Raum. (Eintritt 2 Fr.). Es war schön kühl. Ich war da ½ Stunde – da, wer kommt da: der erste Hornist aus Winterthur. (Ein Belgier – der Deutsch spricht und jetzt bei Ansermet (Genf) spielt.
Wir begrüßten uns. Und da erfuhr ich keine besonders erfreulichen Nachrichten. Der Palast war nämlich, der große Festpalast – tagsüber wird Schlittschuh gelaufen – abends Conzerte. Er erzählte mir, daß das abends der Raum 38o Wärme hat, aber an den Füßen friert man. Es wird nur Holzplatten darüber gedeckt und das Eis ist weg – das Conzert kann beginnen. Der Dirigent (62 Jahre alt) sei ein guter Dirigent für Volkstümliche Musik – aber moderne hat er keine Ahnung (aber ich hatte so ein[e] Ahnung von so einem Dirigenten). Strauß sei ihm zu modern –, „Feuervogel“ von Strawinsky hat er mal gemacht – eine Scheiße. –
Er kannte nur den Namen eines Jurymitgliedes. Ein Franzose (Paris) nun ja = der ist einigermaßen modern. Das Orchester sei bedeutend besser als der Dirigent. Ich habe alles eingehend gefragt – heute nachmittag 5 h nach der Probe treffe ich ihn wieder. Nun weißt Du so ziemlich alles. Teile mir nur mehr Deine genaue Ankunft in Liége mit. Du hast also nichts Großes zu erwarten, im Gegenteil; das meint der Hornist auch. Wir reisen bald nach Bruxelles – Paris. Nicolay (Brüssel) kommt im August nach Liége. Leider!
Bitte lass den Brief Adolf lesen, oder vorlesen.
Nun mein liebes liebes Weib. Ich freue mich auf Dein Kommen. Ich erwarte Dich mit inniger Liebe und ich bleibe stets Dein Karl.
Grüße bitte Deine Lieben. Für Deine Mama erledige ich alles. –
Ich versuch die Tage von Alassio noch schöner und lieber zu gestalten. Immer bin und bleibe ich Dein liebster Kl.
Der Brief hat 4 Bögen.
Wenn ich Durst habe, so gehe ich in den Deutschen Pavillon da gibt es täglich ½ 11 – 12, und 3 h – 5 h alle Mineralwasser umsonst so viel Du willst.