München, Mittwoch (Brief): KAH in der Schweiz d. 6. 4. 38

Mein lieber, guter Karl!
Ich bin froh, daß Du bei Ansermet warst und gut aufgenommen wurdest. Habe nur Geduld, es wird schon alles gut gehen. Das warten lernt [sic] und muß man mit der Zeit lernen. Ich weiß wie schwer das fällt. Bleibe mir nur ruhig und verliere die Nerven nicht. Du kannst etwas und wirst immer wieder obenauf kommen. Laß es Dir noch bis zum 14. gut gehen und komme dann froh zu mir zurück, ich freue mich ja so sehr darauf Dich wieder bei mir zu haben. Immer mehr merk ich, wie sehr ich an Dir hänge und wie Du mir bei allem fehlst. Ohne Dich könnte ich nie mehr leben. Du bist mein zweites ich, du mein lieber, lieber Karl.
Uns geht es soweit gut. Richard ist wieder fast ganz hergestellt. Das war eine unangenehme Sache. Er wird ein richtiger Wildfang ist aber dabei nicht böse. Er frägt immer schon, wann der Papa wieder kommt. Heute habe ich Adolf getroffen. Es geht ihm gut. Tt. Cilly hat ihm schon wieder einen Auftrag für ein Aquarell gegeben. Ich bin froh darüber. Fritz hat noch nichts geschrieben, auch nicht ob er mein Paket erhalten hat. Das finde ich komisch. Am Sonntag kommt Mrs. Osbornes Tochter. Ich werde sie ins Kinderzimmer auf die couch legen und zum essen gehen wir zu meinen Eltern. Hoffentlich ist sie nett. Sie bleibt bis 24. April. Heute traf ich Frau Leo. Ihr Sohn kommt am 20. April nach München. Sonst ist keine Post gekommen. Ich würde Dir raten, trotzdem in Hermanns Konzert zu gehen. Bei ihm weißt du nie, ob seine Stimmung nicht plötzlich wieder für neue Musik umschlägt und dann ist es nicht gut, es mit ihm verdorben zu haben. Glaube mir, ich kann das besser von hier aus beurteilen, weil ich durch sein Benehmen nicht wütend gemacht wurde, und deshalb die Sache ruhiger übersehen kann. Ich weiß bestimmt, daß ich, wenn ich an Deiner Stelle wäre, jetzt auch nicht anders handeln würde, ich weiß, wie furchtbar man sich über so etwas ärgert und doch ist es besser, Du läßt Dir bei ihm nichts anmerken.
Mein innig geliebter Karl, für heute sage ich Dir auf wiedersehen, in steter Liebe u. treuer Freundschaft bleibe ich Deine Elisabeth.
Grüße Familie Klemm mit Sepp.
Mrs. Osborne schrieb, daß das Kutcher Quartett ganz hervorragend sei.