ohne Datum, Wien (Brief): E.H. in München

Mein liebstes Elisabeth,

inzwischen war ich mehrmals bei Webern. Der Unterricht läßt sich versprechend an und ich lebe auf. Du wirst fragen, wie sieht er aus? Daß Webern wie ein kleiner Beamter aussieht, kann nur der auf sich nehmen, der ihn nicht gesehen hat. Freilich macht er auf Gruppenfotos eine unscheinbare und bürgerliche Figur. Dabei ist er gerade unter den unbürgerlichen Köpfen der Nichtbürger, denn er stammt ja aus einer alten Adelsfamilie. Wenn Du aber – mit Recht – einwendest, daß hier nicht der Adelsmann, sondern der Abenteurer als bürgerlicher Gegenspieler gilt, muß ich erwidern: die Abenteuerlichkeit von Weberns Existenz bleibt auch hinter der eines genialischen Wirrkopfes nicht zurück, nur daß sie sich ausschließlicher im Werk niederschlägt und nicht auf dem Wege dorthin in Allüren und Bedeutungsmienen steckenbleibt. Dezenz und Unauffälligkeit der Erscheinung ist ja seit Richard Wagner in Künstlerkreisen nicht gefragt, und es sind schon weisse Raben, die sich ihrer befleissigen. Ausser Webern fällt mir nur Paul Klee ein, von der Novellenfigur Tonio Kröger einmal abgesehen. Obgleich sich Webern literarisch umtut und wahrscheinlich auch Klee persönlich kennt – ich muß ihn danach einmal fragen –, ist seine bürgerliche Mimikry doch ein eigenständiger Zug. Das soll nicht sagen, daß er sich von Leitbildern immer frei gehalten habe und daß nicht doch mancher Zug eines Vorbildes bis in sein Äußeres gedrungen sei. Ich denke dabei nicht an Schönberg, der fast gleichaltrig ist und dessen persönlicher ungezwungener Umgang die idolhafte Vergrößerung nahezu ausschloß. Mir schwebt vielmehr G. Mahler vor den zu rühmen er keine Gelegenheit ausläßt. Ich bilde mir ein, daß Webern von dem vogelhaft bebrillten Typus Mahlers etwas mitgeprägt ist. Aber der Gustav-Mahler-Aufblick und die Bürgermiene sind, wie ich ihn jetzt kenne, nur noch Grundierung seiner Züge, die nur für den Kenner der früheren Porträts durchschimmert. Zuoberst trägt er jetzt eine etwas verwitterte Leidens- und Entsagungsmiene, die ergreifend ist, besonders, wenn sie sich in einer freundlichen Aufwallung erhellt. Wie ich Dir schon schrieb, traf ich ihn zuerst bei Gartenarbeiten. Die betreibt er, wie ich inzwischen erfahren habe, nicht aus Hingabe an Goethes Metamorphose der Pflanzen. Er hat es mir beiläufig erklärt, doch es ging mir ein wenig über den Kopf und ich kann den Verdacht nicht los werden, daß es sich dabei um eine Grille handelt. Er ist kleiner als man ihn sich vom Bild vorstellt. Bei der ersten Begegnung, als er das Gartengerät ablegte und mich ins Haus geleitete, stand schon einige Kühle und sachliche Strenge in seinem Gesicht. Als ich mich vorgestellt hatte, löste sich das sogleich und wich einem angenehmen wienerisch gefärbten Entgegenkommen. Dabei geht viel Scharm und Bedeutung von ihm aus, ohne daß er lärmend wirkt oder irgendeine Pose entfaltet. Sieht man von der Brille ab, die ja jedem Gesicht leicht etwas Strenges gibt, so entwickelte er eine herzerwärmende Freundlichkeit, etwa wenn er sagte: „Ach Hartmann, Sie sind da, herzlich Willkommen!“ Sein Gesicht ist hager, er hat eine scharfe, gerade unter dem metallenen Brillenbügel hervorstechende Nase. Die Brille, ich komme nicht von ihr los, ist von rührender Schlichtheit, was das Gestell betrifft und unterstreicht, was man längst von ihm weiß, daß seine Ansprüche nicht auf das Äußere gerichtet sind. Der Mund ist immerhin etwas schmallippig, dessen Stoff nicht Winkelgrade oder Logarithmen sind, sondern Flöte und Geige. Aber das paßt vielleicht nicht schlecht zu seiner Reihenalgebra, die ich ihm ja auch lieber absehen möchte, als Oboenschmachten und Geigenschmelz. Bin ich nicht fleißig im Briefschreiben! Ich werde Dir nochmals schreiben ehe Du nach Wien kommst. Ich freue mich riesig auf Dein Kommen. Sei Du und Richardl herzlichst und innigst umarmt und geküßt immer bin ich Euer Karl Amadeus.

  • Year
  • Oktober/November 1942