REINHOLD KREILE: SCHERCHEN UND »CHINA KÄMPFT« in: Das Steckenpferd. Münchener Schüler-Zeitschrift, Dezember 1947 Brief an Reinhold Kreile 27.12.47

27.12. Kopie / 2 Seiten / 1 Seite Abschrift

Hartmann setzt sich mit der Kritik des Münchner Gymnasiasten eingehend auseinander, wie sein Brief an die Redaktion des »Steckenpferd« vom 27. 12.1947 zeigt:

Sehr geehrter Herr Kreile,

Ich danke Ihnen für ihre Kritik im „Steckenpferd“. Leider entspricht aber nicht alles den Tatsachen. Sie schreiben,

„Kollwitz wie Hartmann sind Schöpfer einer sozialistischen Kunst“.

Es ist richtig, das ich als Antifaschist ein grosser Verehrer der Künstlerin Käthe Kollwitz bin. Aber bitte stecken Sie mich nicht in eine Schublade mit der Aufschrift „sozialistische Kunst“. Sollten Sie einmal mein fünfsätziges Orchesterwekr „Symphonische Expressionen“ hören, soi würden Sie bestimmt in Konflikt geraten. Im letzten Satz hören Sie als Krönung des Fugates [hier war wohl etwas eingeklebt]

Was nun! Also raus aus der sozialistischen Kunst-Schublade und in die christliche Kunst-Schublade. Sehen Sie, sehr geehrter Herr Kreile, wie unmöglich es ist, Komponisten politisch zu katalogisieren. Mir ist es lieber, wenn Sie schreiben, ob Sie meine Musik gut oder schlecht finden. In Ihrer Kritik heisst es einmal:

„Das Hauptthema von „China kämpft“ ist frei

bearbeitetes Thema eines sozialistischen Songs

aus dem chinesischen Bürgerkrieg“.

In der Neuen Zeitung will Herr Fritz Brust (der meinem Werk anscheinen sehr hilflos gegenüberstand) wissen, dass ich mehrere chinesische Melodien verwendete. Tatsache ist, dass ich eine von mir frei bearbeitete 8taktige (pentatonische) chinesische Melodie als Thema nahm. Von einem sozialistischen Song kann keine Rede sein. Übrigens habe ich alles wesentliche zur Erklärung meiner Symphonischer Ouvertüre im Programmheft festgelegt.

Ich bitte Sie diese Klarstellungen in Ihrer nächsten Nummer richtigzustellen, da sonst ein falsches Bild über mein Werk entsteht.

Nur zu Ihrer persönlichen Information möchte ich noch erwähnen, dass die Musikalische Akademie Herrn Professor Dr. Hermann Scherchen nicht deswegen eingeladen hat, um mein Werk zur Aufführung zu bringen, sondern um einen Dirigenten von Weltruf in München zu haben. So viel Ehre wurde mir bis jetzt nur im Ausland zuteil, in meiner Heimat dagegen – über dieses traurige Kapitel will ich lieber schweigen -. Da Herr Dr. Scherchen ein Verehrer meiner Kunst ist, hat er mein Werk auf das Programm gesetzt.

Mit den besten Grüßen und Wünschen für das kommende Jahr bin ich

Ihr

Karl Amadeus Hartmann

  • Document Number
  • V 60
  • Year
  • 1947