Karl Amadeus Hartmanns Botschaft des Humanismus:
Simplicius Simplicissimus in seiner UK-Premiere an Londons Independent Opera at Sadler’s Wells
Am 11. November 2016 feiert Karl Amadeus Hartmanns Oper „Simplicius Simplicissimus“ an der Independent Opera at Sadler’s Wells ihre britische Erstaufführung. Es spielt die grandiose Britten Sinfonia unter der Leitung von Timothy Redmond. Erstmalig wird die Oper nach Grimmelshausen in einer englischsprachigen Version gesungen, die der international renommierte Regisseur David Pountney erstellt hat.
Regie führt dabei die junge britische Regisseurin Polly Graham, die in Vorbereitung dieser Produktion mit ihrem Bühnenbildner Nate Gibson Gast der Karl Amadeus Hartmann-Gesellschaft einen Besuch in München abstattete. In ausführlichen Gesprächen mit dem Künstlerischen Leiter und Geschäftsführer Andreas Hérm Baumgartner sowie mit Richard Hartmann informierte sie sich über die Entstehungsgeschichte des Werks sowie unter anderem über die bewusste Verwendung jüdischer Themata, Zitate verfemter und verbotener Künstler als mahnende Botschaft im Sinne eines umfänglichen Humanismus. Hartmann begann mit der Komposition der Oper 1934 und proklamierte darin offensiv einen politischen und gesellschaftlichen Umsturz. Aufgrund des Beginns des Frankreich-Feldzuges der deutschen Wehrmacht scheiterte 1940 leider die Uraufführung samt Radioübertragung durch den Belgischen Rundfunk in Brüssel. Hartmann hatte bis zu diesem Zeitpunkt weiterhin an ein „Aufwachen“ der deutschen Bevölkerung im nationalsozialistischen Deutschland und an einem damit verbundenen Sturz des Terror-Regimes geglaubt. Er lässt sein Stück auf der Handlungsebene auch mit einer siegreichen Revolution der geknechteten Bauern über ihre Unterdrücker und die herrschende Klasse enden, musikalisch und dramaturgisch konterkariert er dies aber mit den leisen und langsam gesprochenen Worten des Sprechers: „Zeit des Entsetzens, Jahrzehnte des Grauens“. Es folgt ein still erlöschender letzter Klang des tiefen Gongs.
Es steht außer Frage, dass Karl Amadeus Hartmann die gesellschaftliche Revolution im Stück (Dreißigjähriger Krieg) wie in seiner zeithistorischen Parallel-Realität des Dritten Reichs wollte und auf mannigfaltige Weise förderte. Durch die den scheinbaren Sieg konterkarierende Ausdeutung auf der Text- wie Musikebene thematisiert er aber gleichzeitig die Frage, mit welchen Mitteln dies zu geschehen habe. Die Hauptgestalt Simplicius Simplicissimus, die sich durch scheinbare Naivität den „Seelenschatz“ bewahren konnte und damit zum Topos des Humanismus schlechthin wird, wird nur deshalb von den siegreichen Bauern verschont, weil er als zu gering geachtet wird: „Du Wurm bist nicht wert, dass man den Arm gegen dich aufhebt.“ Wenn eine neue Zeit mit der Missachtung der Menschenwürde begründet und die Achtung vor dem Anderen mit Füßen getreten wird, erneute Gewalt also die frische Währung darstellt, dann ist dieses Neue radikal abzulehnen oder ihm zumindest doch mit enormen Misstrauen zu begegnen.
Andreas Hérm Baumgartner
Weitere Aufführungen finden am 15., 17. und 19. November 2016 statt.
Infoseite der Independent Opera at Sadler’s Wells:
https://www.independentopera.com/productions/simplicius-simplicissimus
Über Ihren Besuch in der Hartmann-Gesellschaft berichtet die Regisseurin auch in ihrem Blog:
https://www.independentopera.com/blog/entry/2016-director-fellow-polly-graham-visits-munich-ahead-of-simplicius-rehears