Das dem Thema „Grenzgänge“ gewidmete Veranstaltungskonzept aus Konzert, Vortrag und Ausstellung mit Alexander Lonquich möchte die Zuhörer zum Miterleben von Grenzgängen besonderer Art einladen: sowohl Karl Amadeus Hartmanns Klaviersonate 27. April 1945 als auch Robert Schumanns achtzehnteiliger Zyklus Davidsbündlertänze thematisieren jeweils menschliche Grenzerfahrungen. In den letzten Kriegstagen vor dem endgültigen Zusammenbruch des „Dritten Reiches“ komponiert, beschließt die Klaviersonate Hartmanns den Kanon an Kompositionen, mit denen er seit 1927 unermüdlich gegen den Nationalsozialismus ankomponierte und sich an ihm abarbeitete. Obwohl Karl Amadeus Hartmann zu Beginn der 1930er Jahre als der aufgehende Stern am Komponistenhimmel galt, verweigerte er sich rigoros jeglicher Vereinnahmung durch das totalitäre Regime und begab sich in die Innere Emigration, während er als Komponist umso beredter im Ausland zu sprechen suchte. Er wird deshalb in der Welt auch als der deutsche antifaschistische Komponist schlechthin wahrgenommen, der sich nicht nur aktiv in Widerstandskreisen betätigte, sondern mit seiner Musik laut und allgemein verständlich Stellung bezog. In sämtlichen, während der Jahre des Nationalsozialismus entstandenen Kompositionen versuchte Hartmann, durch stetiges Einbeziehen von sich zu Klage- und Anklagechiffren erhebenden jüdischen Melodien sowie Musik- und Textzitaten verfemter und verbotener Künstler, seine Botschaft von grenzenloser und von politischen Systemen unabhängiger Humanität nach außen zu tragen. Eine zentrale Bedeutung kommt hierbei dem jüdischen Pessachlied Eliyahu Hanavi zu, auf das er in sämtlichen Werken zurückgriff und das für ihn zur Chiffre für die jüdische Kultur wurde.
In der Sonate 27. April 1945 wächst der Melodie nochmals besondere Relevanz zu. Gerade im Wissen um die Bedeutung des Themas in seiner Werkgenese zeigt sich, um wen es in dieser Sonate geht: die durch den Holocaust nahezu vernichtete Bevölkerung jüdischer Herkunft, aber auch um die Andersdenkenden und Regimegegner, die Hartmann am 27. April 1945 in dem Todesmarsch von KZ-Häftlingen aus Dachau vorbeiziehen sah. Facettenreich ergänzt wird das Konzert um Grafiken des österreichischen Bildhauers Alfred Hrdlicka, dessen Werk dem Credo „Aufdeckung statt Flucht“ gehorcht, die Wunde im Alltäglichen sucht und – gleich Hartmann und Schumann – an die Empathie-Fähigkeit des Betrachters appelliert.
Die kafkaesken Trois Études blanches von Wilhelm Killmayer, der in diesem Jahr seinen 90. Geburtstag begeht, komplettieren das Programm.
Eine Veranstaltung der © Karl Amadeus Hartmann-Gesellschaft e. V., gefördert durch das Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst sowie die Stiftung Künstlerische Musikpflege.