Andreas Herm Baumgartner mit dem Kammerorchester der Bayerischen Philharmonie bei Wasserburger Rathauskonzert
Aus: Oberbayerisches Volksblatt, 27.10.2010
Quelle: http://www.ovb-online.de/kultur/dokument-schwerer-zeit-begeistert-979475.html
Die Musik Schuberts, dessen Seele bisweilen Ausdrucksweisen suchte, in denen er die Möglichkeiten des vierstimmigen Instrumentariums eines Streichquartetts sprengte; Karl Amadeus Hartmann, der in der klassischen Moderne der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als der Repräsentant des musikalischen Expressionismus gilt; dazu ein Dirigent, der sich in äußerster Hingabe gerade dieser Art von Musik widmet: Ein Glücksfall für Wasserburgs Musikliebhaber, Zeuge eines Konzerts zu sein, das solche Dreiheit vereinte.
Die glücklichen Umstände: Der Dirigent Andreas Herm Baumgartner ist gebürtiger Wasserburger – und das mag mit ein Zugpferd für ein Wasserburger Rathauskonzert gewesen sein, in dem das Programm über den gewohnten Rahmen hinausging. Dazu kam die Absage eines anderen Ensembles, so dass man das Kammerorchester der Bayerischen Philharmonie, ein Ensemble vornehmlich junger Leute, gewinnen konnte. Und schließlich hatte sich Klaus Jörg Schönmetzler bereit erklärt, ins Programm und insbesondere in die Musik Karl Amadeus Hartmanns einzuführen.
Wenden wir uns Schubert zu: Sein d-Moll-Quartett („Der Tod und das Mädchen“) wirkt schon in den ersten Takten so explosiv, dass die Übertragung auf Streichorchester durchaus sinnvoll erschien und die Wucht der ersten Akkorde hervorhob. Diese Potenzierung des Ausdrucks sollte sich in allen Folgesätzen bestätigen. Doch der sich in himmlischen Höhen ergehende Part der ersten Geige ist von einem Streicherkollegium nur schwer in vollster Homogenität vollziehbar – weswegen der Dirigent gut daran tat, manche zirpenden Passagen der Konzertmeisterin allein anzuvertrauen. Die Verletzlichkeit, neben orchestraler Wucht doch immer ein unverzichtbares Kennzeichen Schubertscher Musik, sie klang somit episodenhaft auch in der Orchesterfassung hindurch.
Noch intensiver als in der Quartettfassung spürbar arbeitete Baumgartner die Tiefgründigkeit des berühmten Liedthemas heraus, spürte in seinem Dirigat, seiner Gestik, jeder erdenklichen Nuance nach, und im Rondo wuchs das Ensemble über sich hinaus, als es diesen rasanten Schlusssatz in beispielloser Exaktheit meisterte.
Die Pause half nun 100 Jahre Musikgeschichte zu überbrücken, die Spannung war dem Publikum anzumerken. Das Ausdrucksspiel von vorher kulminierte bei Karl Amadeus Hartmanns 4. Symphonie – begonnen 1938, uraufgeführt 1948. Klaus Jörg Schönmetzler hatte dem Zuhörer Einzelheiten zum Aufbau des Werkes vermittelt, und der Hinweis auf so manches 12-Tonmotiv, oder auf jiddische Themen, half dem Verständnis. Doch was schrieb der Komponist hierzu? „(Das Werk) braucht nicht verstanden werden in seinem Aufbau oder seiner Technik, sondern es soll verstanden werden in seinem Sinngehalt“. Es ist wohl die Vita in schlimmer Zeit der Unterdrückung, welche diesen Sinngehalt erschließt – worauf der Redner ausführlich zu sprechen kam.
Und so hörte man zu: Das Unisono des Beginns ist allein schon von kaum zu überbietender Intensität und nimmt den Hörer sofort gefangen. Wie ist da Steigerung noch möglich? Ja, die sich überlagernden Stimmen potenzieren die Expressivität, die Akkordballungen reiben sich im Ohr.
Der zweite Satz, eine Art Scherzo, lässt an Bruckners oder Mahlers grimmigen Humor denken. War dies alles nun wirklich „atonal“ zu nennen? Ungewohnt ja, und den letzten Satz hätte man gerne ein zweites Mal gehört, denn dessen Schluss gab ein Rätsel auf, das wohl alle, auch die Kenner, als solches akzeptieren dürfen: Die Celli ergehen sich im Solo, bersten fast vor Intensität, mehr ist nicht mehr möglich. Ein Schlusston. Ende. Schweigen, aus dem stürmischer Beifall erwuchs.
Ein Dokument aus schwerer Zeit wurde greifbar, und wenn die junge Generation sich hier daran begeisterte wie seinerzeit in den Nachkriegsjahren, so mag dies die Älteren besonders erfreuen!