Aus: Merkur, 27.10.2010
Murnau – Freiheit als bewusste Zuwendung zum Schicksal einzelner Menschen. Das ist das anspruchsvolle Thema des Weltmusikfestivals Grenzenlos 2010. Es startete mit einem besonderen Konzert. (© AUTO_MUR)
Zwei Profis, die sich verstehen: Dirigent Andreas Hérm Baumgartner und erste Geigerin Jeany Park des Kammerorchesters der Bayerischen Philharmonie. Die bewegende Darbietung der Werke des antifaschistischen Komponisten Karl Amadeus Hartmann haben nur wenige gehört. Foto: kolb
Dass Freiheit erst durch die persönliche Erfahrung des Gegenteils, des Eingeschlossenen also, ins Bewusstsein tritt, machte der Murnauer Bürgermeister Michael Rapp in seiner Ansprache anlässlich der Eröffnung des Festivals deutlich. Die kritischen Impulse der umfassenden Thematik von „grenzenlos frei“ erforderten ein hohes Maß an Toleranz, dessen sich der Kulturverein Murnau, namentlich die Vorsitzenden Thomas Köthe und Konstantin Zeitler, in vorbildlicher Weise annehmen würden.
Enttäuschung aber herrschte am ersten Abend des Festivals, das bis zum morgigen Sonntag dauert: Das Kammerorchester des Bayerischen Symphonieorchesters spielte vor fast leerem Saal. Knapp 60 Zuhörer werden dem antifaschistischen Komponisten Karl Amadeus Hartmann nicht gerecht. Das Konzert war eine bewegende Hommage an den Münchner Komponisten, dessen Werk im Pfarrgarten der Christuskirche vergraben (wir berichteten), das Naziregime überdauerte.
Das Kammerorchester hatte mit Andreas Hérm Baumgartner einen vorzüglichen Leiter. Der Dirigent stellte der 4. Symphonie von Hartmann eine eigens geschriebene Orchesterfassung des Streichquartetts „Der Tod und das Mädchen“ von Franz Schubert voran. Mit dieser Vielfalt von Geigen trat die innere Dramatik des Spätwerkes noch deutlicher in den Vordergrund. Baumgartner setzte den Schwerpunkt auf das Ausmalen und die Beschreibung von Klangformen. Das Todesmotiv der Tonwiederholung zeigte in der großen Fassung für Orchester eine Anlehnung an die Idee in der 7. Symphonie von Ludwig van Beethoven. Durch die Überlagerung der Streicherstimmen breitete sich das Unbedingte der Todesnähe fast greifbar im Saal aus. Nimmt man noch das beklemmende Bühnenbild von Christian Schied und Bernd Weber in die Beschreibung auf – ein Ausschnitt von Gitterstäben, über die verschwommene, verblichene Zahlenreihen geistern – dann ist der Übergang zu Hartmanns Werk perfekt.
„Der innere Emigrant“ heißen Konzert und Ausstellung (wir berichteten) zu Leben und Werk von Karl Amadeus Hartmann. Was das Leben im Dritten Reich überhaupt bedeutet hatte, verdeutlichte diese hoch engagierte, beeindruckende und bewegende Aufführung mit Musik.