Mit dem Geiger Ingolf Turban begegnet einer der herausragendsten und aufregendsten Musiker dem Werk Karl Amadeus Hartmanns, setzt sich ihm aus, reflektiert, spürt Bezügen nach und lässt als Interpret den Zuhörer an seiner individuellen Erlebenswelt teilhaben. In einem singulär komponierten Programm kreiert Turban ein Kaleidoskop an unterschiedlichen Blickwinkeln und Wahrnehmungsweisen und lässt einen auf diese Weise Hartmanns musikalisch progressive, und in ihrer Klangsprache radikal grenzüberschreitende Suite Nr. 2 für Violine solo neu erfahren.
Im nationalsozialistischen Deutschland verweigerte sich Hartmann rigoros jeglicher Vereinnahmung durch das totalitäre Regime und zog sich in die „innere Emigration“ zurück, während er gleichzeitig im Ausland umso beredter zu sprechen versuchte und als Symbol für ein „anderes Deutschland“ – das Kultur und Humanismus gegen Barbarei setzte – auch wahrgenommen wurde. Sein Komponieren verstand er bewusst als „Gegenaktion“. In jedem seiner Werke suchte Hartmann den internationalen Schulterschluss mit Verbündeten im Geiste, sei es durch die Verwendung von Texten und Melodien verbotener Künstler oder mit Hilfe jüdischen Liedgutes. Gerade die Verwendung des jüdischen „Eliyahu hanavi“ in sämtlichen Kompositionen der Jahre 1933 bis 1945 geriet bei Hartmann zur Klagechiffre für die Vernichtung des jüdischen Volkes, stand aber auch stellvertretend für die Verfolgung aller Regimegegner. Erste Spuren jüdischer Melismen lassen sich in seinem Frühwerk bereits im Jahr 1927 verorten und führen zu ersten Ausprägungen in Hartmanns Suite Nr. 2 für Violine solo.
„Nach Bach und Reger dürfte es erst wieder Hartmann gelungen sein, der Violine eine so ungewöhnlich komplexe Polyphonie zu schenken. Dies ist umso erstaunlicher, bedenkt man, dass Hartmann als damals erst 22-jähriger Student der Posaune es vermochte, die Möglichkeiten der Geige derart genial bis an die Grenze des Machbaren auszuloten“, so Ingolf Turban in einem Interview im Jahr 2013 (Festschrift zum internationalen „Karl Amadeus Hartmann-Jahr 2013“).
Es ist deshalb nur sinnfällig, in unserem Konzert einen weiten Bogen von Johann Sebastian Bachs Partita Nr. 2, über Béla Bartóks Melodia bis hin zu Paul Hindemiths Sonate für Violine solo op. 31, Nr. 2 zu schlagen. Auch Paul Hindemith gilt es nach wie vor weit pluraler begreifen zu lernen und seine gelegentlich gar humoristisch geprägte Farbvielfalt zu feiern.
Eine Veranstaltung der © Karl Amadeus Hartmann-Gesellschaft e. V., gefördert durch das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst, das Kulturreferat der Landeshauptstadt München und den Bezirk Oberbayern.